Judith Butler hielt anlässlich der Verleihung des Adorno-Preises eine Rede über die Unmöglichkeit des richtigen Lebens im falschen Leben.
Wenn man kein richtiges Leben im falschen führen kann, ist keiner davor gefeit, sich auch falsch zu verhalten. Und wer sich falsch verhält, darf auch das Falsche nicht als das Falsche benennen, denn dann wird ihm vorgeworfen, dass er selber …..
Ich liebe Denkweisen, die in die Paralyse führen.
Der berühmte, bekannte Satz von Adorno weist bei aller Richtigkeit einen Fehler auf: Adorno totalisiert, das heißt, es gibt in der Tat aufs ganze Leben gesehen kein Leben, das frei von Verfehlungen, Irrtümern, Ungerechtigkeiten, das frei von Widersprüchen wäre. Und bei aller Gutwilligkeit wird es außerordentlich schwer, nur Gutes zu tun, wenn man von bösen Nachbarn umgeben ist. Es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. So oder so ähnlich lautet eine Volksweisheit.
Die bösen Nachbarn, die vielleicht gar keine bösen Nachbarn sind, müssen allerdings auch oft dafür herhalten, das eigene Versagen zu rechtfertigen – nach dem Motto: Schuld sind immer nur die anderen.
Da wir aber nicht allein für uns selbst leben, sondern in einem Netz von Verflechtungen, von Reizen und Reaktion leben, und da wir auch nicht immer, selbst wenn wir es wollten, unser Verhalten in aller Ruhe überdenken können, sind wir nicht davor gefeit, Fehler zu machen.
Die hintergründige Maxime meiner Überlegungen heißt: Wer immer strebend sich bemüht … , das heißt, ich setze den Willen, das Gute zu tun voraus.
Verlogene, bigotte Arschlöcher kamen mir dabei – im Augenblick – gar nicht in den Sinn. Ernst Otte erinnert an ein solches Musterexemplar von Bigotterie:
>>Über das richtige Leben im falschen
oder
Wie ein Prediger der Doppelmoral überführt wird, ein Callboy den Pfad der Tugend findet und die Wähler trotzdem nichts begreifen
Niemals sollte man Ted Arthur Haggard vergessen, jenen evangelikalen US-Prediger, über den der Callboy Mike Jones im Herbst 2006 in den Medien verlauten ließ, Haggard habe ihn drei Jahre für Sex bezahlt. Ursprünglich wollte Jones den berühmten Prediger erpressen, habe davon aber Abstand genommen, weil Haggard öffentlich gegen die rechtliche Absicherung lesbischer und schwuler Partnerschaften aufgetreten sei. Jones erklärte gegenüber ABC News: „Ich musste die Doppelmoral von Haggard anprangern.“ Haggard habe die Möglichkeit, Hunderttausende von Anhängern zu beeinflussen, er predige gegen die Homo-Ehe. Aber im versteckten Privatleben lebe er das Gegenteil von dem, was er predige.
Jones hoffte, dies würden die Wähler begreifen.
In Colorado wurde am 7. November 2006 über die Homo-Ehen in der Verfassung des Bundesstaates Colorado abgestimmt; trotz des Outings von Haggard entschied sich die Mehrheit der Abstimmenden für ein Verbot der Homo-Ehe.
(unter reichlicher Verwendung eines wikipedia-Artikels über Haggard)<<
Was den Widerspruch zwischen guter Absicht und dem tatsächlichen Handeln betrifft, so denke ich eher an Paulus, an seine Zeilen im Römerbrief 7,15ff. Ich zitiere hier aus der Übersetzung von Ulrich Wilkens:
>>Wozu ich es in meinem Handeln bringe, weiß ich selbst nicht. Denn ich tue nicht, was ich eigentlich tun will; sondern was ich hasse, das tue ich. (…)
In mir – das heißt: in meinem leiblichen Dasein – wohnt nichts Gutes. Wohl steht mir das Wollen zu Gebote, nicht aber, das Gute im Tun zu verwirklichen. Denn nicht was ich will, tue ich, das Gute, sondern was ich nicht will, das Böse, das betreibe ich ….<<
Diese hier nicht gänzlich zitierte Textstelle enthält gleichsam das Gegengift zum Pharisäismus, der meint, weil er die Buchstaben des Gesetzes kennt, die er sklavisch einhält und umsetzt, verkörpere er fraglos das Gute, die Wahrheit.
Man könnte auch von den Buchstaben der Suren sprechen. Wer genauer wissen möchte, was damit gemeint ist, dem empfehle ich die Lektüre der außerordentlich sophisticated short story von Salman Rushdie The Prophet’s Hair.
Die zitierten Sätze von Paulus (Römer 7, 15ff.) sind allerdings – neben ihrem Wahrheitsgehalt – auch als Rhetorik zu betrachten, die eine Aussichtslosigkeit suggeriert, welche nur durch den Glauben an Jesus Christus aufgehoben werden kann.
Jedoch – on the other hand – ist das Meinen, man könne das Gute tun, wenn man nur einen guten Willen habe, wenn man es intendiere, einer Relativierung unterzogen worden. Wenn für das Christentum Jesus als der Christus zum Medium der Erlösung aus der widerspruchsvollen Existenz wird, dann für so manchen Philosophen das Kunstwerk.
Bei Walter Benjamin heißt es in der Vorrede zum Trauerspielbuch: Wahrheit ist der Tod der Intention, also auch das des intentional gewollten Guten:
“Die Wahrheit ist ein aus Ideen gebildetes intentionsloses Sein. Das ihr gemäße Verhalten ist demnach nicht ein Meinen im Erkennen, sondern ein in sie Eingehen und Verschwinden. Die Wahrheit ist der Tod der Intention.“
Bei Adorno, geprägt durch Benjamin, wird die Intention des Künstlers im Kunstwerk transzendiert, und erst durch solche Transzendierung wird das Werk zum Kunstwerk.
Wer, und mehr will ich eigentlich hier nicht sagen, einigermaßen reflektiert ist, weiß, dass der eigene gute Wille nicht ausreicht, um wirklich Gutes zu tun.
Nichtsdestoweniger kann und sollte sich ein moralisches Urteil nicht auf die Summe eines Lebens beziehen. Wenn es auch in toto kein richtiges Leben gibt, kein hundertprozentig fehlerfreies Leben, so gibt es doch die gelingende Augenblicke, die man im Neuen Testament oder zu Zeiten von Paulus auch Kairos nannte. Damit der Augenblick gelinge, damit er zum Kairos wird, ist die Arbeit am Ich nicht überflüssig. Und die Übung des Denkens kann dabei helfen.
PS.: Über die Möglichkeit des angemessenen, des einer Situation angemessenen Verhaltens habe ich übrigens in meinem Aufsatz über Lew Archer nachgedacht.
Und wer auf der documenta nur ein einziges Mal gearbeitet hat, wird – vermutlich schmerzlich – die Erfahrung zwischen dem moralischen Anspruch der Kunst und dem moralischen Versagen der Menschen, die den Kunstbetrieb repräsentieren, gemacht haben.
Ich habe diese Erfahrung in sehr verdeckter, indirekter Weise in meinem Essay über Joseph Roth und Tennessee Williams reflektiert.
PS. 2: Ich bin mir nicht sicher, ob deutlich geworden ist, was ich sagen möchte. Die Rede ist hier überwiegend vom Idealtypus desjenigen, der sich um Wahrhaftigkeit bemüht, und zwar im Denken und im Handeln, und der seinen eigenen Status quo vergleicht mit dem, was möglich ist – und dann die Differenz selbstkritisch reflektiert. Moral als Dauerstreß. Und manchmal ist man benommen im Kopf, steht man neben sich und weiß nicht mehr, wer man ist. Auch zur Selbstkritik ist man nicht immer in Form.
Die Welt ist nicht nur alles, was der Fall ist, sondern auch alles, was möglich ist. Früher hieß das mal Utopie.
„Der berühmte, bekannte Satz von Adorno weist bei aller Richtigkeit einen Fehler auf: …“
„Ich sage nicht, dass Adorno ein Idiot ist, er irrt sich halt – recht umständlich formuliert.“
http://feynsinn.org/?p=15316#comment-56109
werter herr karl, tu mir einen gefallen: trage deine auseinandersetzung mit flatter nicht über meinen blog aus.
danke
und viele grüße
klaus baum
Werter Klaus,
das sind nur Zitat-Collagen. Ich bin ein Künstler…
Und Nebel legte sich aufs Land.
– dem die Frage nach dem Echt im Falschen gegenüberstand.
Die Kunst, sich selber mittels Logik zu erschlagen,
– ist des Müßiggängers Art zu fragen.
🙂
Was soll ich sagen,
Freund,
zu Deinen dunklen Worten?
Ich muss nun fort,
der Wind , der wartet droben
hoch im Norden.
Ich beneide dich. Wünsch dir aber trotzdem tolle Tage.
Ich bin kein Experte der Adorno exegese, dennoch möchte ich Bedenken anmelden. Ich hatte dieses Zitat immer so verstanden, dass es (auch) in der konkreten Situation kein richtiges Handeln gibt. Das jede vorstellbare Handlungsoptionen am Anspruch des „richtigen“ Lebens sich als falsch offenbart. An deinem Beitrag kontrastiert: Das es keine Kairos gibt, keine gelingenden Augenblicke, nur scheitern. Oder weniger eloquent: Eigentlich sind wir am Arsch, wir brauchen uns nichts vormachen (Samy Deluxe in „Generation“ statt Adorno). Und die Aussage über die totalität des Lebens ist mehr eine Ableitung. Weil wir nie das richtige schaffen, muss das Gesamtwerk (notwendig) scheitern.
@roger, es geht gar nicht um Adorno-Exegese. Nimmt man sein Diktum als These, geht es um die Überprüfung ihres Wahrheitsgehaltes. Und diese Prüfung müssen wir selber leisten.
Meiner Erfahrung nach gibt es durchaus eine Fülle richtiger Handlungen bezogen auf ihre entsprechenden Momente, ihre Situationen.
Wiesengrund sagt auch : „Engagement ist vielfach nichts als Mangel an Talent oder an Anspannung, Nachlassen der Kraft.“
Dann bist du mit etwas gesegnet, dass mir noch nicht begegnet ist. Ich habe schon vielfach gedacht, etwas sei das richtige in einer Situation, aber da die Folgen praktisch jeder Handlung unabwägbar sind, fällt es mir schwer, abschließend zu sagen eine Handlung sei richtig (gewesen), erst recht gemessen an einem ganzen Leben, dass richtig wäre, dass eine ganz andere Qualität besäße und praktisch aus einer anderen Dimension stamt, die mit unserer Realität nichts gemein hat.
Philosophie ist ja nicht gerade mein Thema. Aber ich denke was Philisophen mit Übersetzern gemeinsam haben ist, dass sie offenbar pro Wort bzw. Zeile bezahlt werden. Anders kann ich mir nicht erklären warum die Philosophie so wortreich und verschachtelt ist. Da kann man doch schon mal mit den Worten durcheinander kommen, Das kann man doch keiner (Philosophin) vorwerfen. Schon gar nicht Judith Butler.
Ich nehme an dass das Beispiel von Ernst Otto auch auf der Adorno-Preis-Verleihung vorgetragen worden ist. Sollte das der Fall gewesen sein, bestand die Absicht seines Vortrages ja vielleicht darin darauf hinzuweisen, dass Judith Butler versucht Adorno zu vereinnahmen, das heißt, dass sie versucht ihn für ihre Zwecke einzuspannen und dass er ihr Heuchelei und mißbrauchlichen Einsatz von Zitaten vorwirft.
Meine Oberflächliche Recherche hat ergeben, dass das Adorno-Zitat, das Judith Butler von sich gegeben hat, sich auf den Faschismus bezieht (Schlußsatz von: Asyl für Obdachlose aus Minima Moralia von 1944-47). Die Kontroversen im Leben von Judith Butler sind ihre (umstrittenen) Äußerungen über Hamas und den CSD. Die Hamas sieht sie als Linke Organisation und dem CSD hat sie Rassismus vorgeworfen. Das Kernthema des Beispiels von Ernst Otto ist Heuchelei.
Das kann man jetzt, wenn man so will, als Schlagabtausch unter Philsophen verstehen.
also irgendwie steh ich grade auf dem schlauch. es purzelt mir hier zu vieles durcheinander. was genau wird hier kritisiert, an butlers rede? bzw. wessen gedankengänge führen in die paralyse?
spricht butler nicht genau das an, was klaus hier weiter erläutert?
zum hamas kontext siehe
http://www.zeit.de/kultur/literatur/2012-08/judith-butler-kritik-israel-antwort
(…) Vor einigen Jahren wurde ich während eines akademischen Vortrags aus dem Publikum heraus gefragt, ob Hamas und Hisbollah meiner Ansicht nach Teil der „globalen Linken“ seien, worauf ich mit zwei Anmerkungen antwortete. Mein erster Punkt war rein deskriptiv: Die genannten politischen Organisationen verstünden sich als antiimperialistisch, und Antiimperialismus sei ein Merkmal der globalen Linken, sodass man sie vor diesem Hintergrund als Teil der globalen Linken beschreiben könnte. Mein zweiter Punkt war kritischer Natur: Wie bei jeder linken Gruppierung müsse man sich entscheiden, ob man für oder gegen diese Gruppe sei, und man müsse ihre Positionen kritisch überprüfen. Ich akzeptiere oder befürworte nicht alle Gruppierungen der globalen Linken. Tatsächlich folgten diese Bemerkungen einem Vortrag, in dem ich die Bedeutung des öffentlichen Trauerns und der politischen Praktiken des gewaltfreien Handelns hervorgehoben hatte, ein Prinzip, das ich in drei meiner jüngsten Bücher verteidige: Gefährdetes Leben, Raster des Krieges sowie Parting Ways. Zu meinen Ansichten über Gewaltfreiheit wurde ich von Guernica und anderen Onlinemagazinen interviewt, und die entsprechenden Ausführungen sind leicht zu finden, wenn man wissen will, wie ich in diesen Fragen denke.(…)
wer paralysiert hier nun wen?
siehe auch presseerklärung der jüdischen stimme
http://www.juedische-stimme.de/?p=935
„Wir gratulieren Judith Butler zum Erhalt des Theodor-W.-Adorno Preises. Was für eine Ehre – für den Theodor-W.-Adorno Preis der Stadt Frankfurt, für die Tradition der kritischen Theorie, für die widerständigen Denktraditionen in Deutschland, und, ja, für uns Wenigen, die in der Jüdischen Stimme dem Vergessen der kosmopolitischen jüdischen Traditionen entgegenarbeiten, dass ausgerechnet Judith Butler, die Philosophin, die widerständige jüdische Denkerin, den Theodor-W.-Adorno-Preis 2012 der Stadt Frankfurt erhält. Sie sagt es laut, ihre Stimme ist stark und sie trägt: „Es ist von größter Bedeutung, dass die ethischen Traditionen des Judentums für unsere Zeit wieder gewürdigt und wiederbelebt werden – sie stehen für die Werte der Diaspora, die Kämpfe um soziale Gerechtigkeit und den immer bedeutsameren jüdischen Wert, die Welt zu reparieren (Tikkun Olam)‘.“ Unkritische Staatstreue und blinder Gehorsam zählten in den jüdischen Überlieferungen nie zu den gefeierten Tugenden.
Die öffentliche Anfeindung der jüdischen Denkerin Judith Butler, die es wagt, gerade in ihrer Eigenschaft als Preisträgerin des Theodor-W.-Adorno Preises der Radikalität der jüdischen ethischen Denktraditionen auch im Kontext des Nahen Ostens treu zu sein, zeigt uns nicht zuletzt auch, wie sehr wir mit dem Erinnern und Weiterführen kosmopolitischer kritischer Denktraditionen doch immer wieder am Anfang stehen, wie sehr sich die damit verbundenen Haltungen zurückgezogen haben, auch wenn sie verfügbar scheinen.
Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost
@ klaus
habe hier gerade ein wenig senf reingestellt, inklusive 2er links, guxtu spam
ps. ich unterliege derzeit einer akuten leseschwäche, sodass ich mitunter schwerigkeiten habe, zu erfassen von was im kern die rede ist…
Die Verständnisschwierigkeit liegt – glaub ich – nicht bei Dir. Ich habe die Themenwahl der Frau Butler zum Anlass genommen, die These vom nicht möglichen richtigen Leben im falschen in eine andere Richtung zu reflektieren. Butler ist nur der Stichwortgeber. Meine Überlegung von heute hat dann nichts mehr mit Butlers Inhalten zu tun.
Jedenfalls nicht direkt.
Alle sind Irre; aber wer seinen Wahn zu analysieren versteht, wird Philosoph genannt. (Ambrose Bierce)
Wenn zwei Philosophen zusammentreffen ist es am vernünftigsten, wenn sie zueinander bloß „Guten Morgen“ sagen. (Jean-Paul Sartre)
Ich mag Philosophen nicht, die das Haar auf fremden Köpfen spalten. Noch dazu mit einem Beil. (Stanislaw Jerzy Lec)
Wenn ein Philosoph einem antwortet versteht man überhaupt nicht mehr, was man ihn gefragt hat. (André Gide)
Das die Philosophie eine Frau ist merkt man daran, dass sie gewöhnlich an den Haaren herbeigezogen ist. (Georg Friedrich Lichtenberg)
Die Philosophen sind wie Zahnärzte, die Löcher aufbohren, ohne sie füllen zu können. (Giovanni Guareschi)
Ein Philosoph ist ein Mann, der in Ermangelung einer Frau die ganze Welt umarmt. (Sir Peter Ustinov)
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