Ich mache mir schon seit einiger Zeit Gedanken über die sogenannten Hasspostings beziehungsweise über die Hassausbrüche, die im Rahmen von Pegida und AfD zu beobachten sind.
Meiner Meinung nach, ich müsste eigentlich eher sagen, meiner Erfahrung nach sind diese Hassäußerungen als Merkmal menschlicher Natur nichts Neues, ich habe unter dergleichen als Kind sehr gelitten. Was mir damals schwer auf der Seele lag, war das mangelnde Verständnis der Erwachsenen dem Kind gegenüber. Ein Kind handelt oft, ohne sich der Tragweite seines Handelns, ohne sich der vielfältigen Implikationen seines Tuns und Sagens bewußt zu sein.
Meine Erziehungsberechtigten, unsere Nachbarn oder Verwandten pflegten oft in mein Handeln, ich rede jetzt von den fünfziger Jahren, bösartige Motive hineinzulegen. Das, was man mir an absichtsvoller Boshaftigkeit unterstellte, war mir völlig fremd, und ich erkannte mich in den Feststellungen der Erwachsenen nicht wieder. (Marlene Dumas, die Malerin, hat in den 80ern einen ihrer Kataloge „Miss interpreted“ genannt, was so viel heißen konnte wie: Man deute sie falsch, verstehe sie falsch – und als Malerin interpretiere man ihre Bilder.)
Ich formuliere als These, dass das meiste, was von PEGIDA (im Sinne eines Oberbegriffs) kommt, Unterstellungen, Projektionen sind. Man wirft zum Beispiel den Flüchtlingen unlautere Motive vor, um sich selbst als lauter zu empfinden. Man projiziert auf alle, die man als Asylbefürworter bezeichnen könnte, das Böse, um die Asylbefürworter zu prügeln, zu erstechen, zu verbrennen usw.
Man muss den Leuten, die einem unheimlich sind, fremd, weil man sie nicht versteht, hässliche Motive unterstellen, damit man sie mit gutem Gewissen auf gehässige Weise fertig machen kann. Hätte der Löwe Bewußtsein, wenn auch ein falsches, so würde er die Gazelle als bedrohlich deklarieren, bevor er über sie herfällt.
Wird fortgesetzt …
Ich habe heute ein Buch von Margarete Mitscherlich entdeckt, in dem sich ein Essay befindet, der mir höchstaktuell erscheint. Sein Titel: >Müssen wir hassen?< Lesenswert.
„Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht.“
Papst Gregor (7.Jahrhundert)
Was pegida angeht, so könnte man mit dem Gruppenverhalten, das einen evolutionären Vorteil für die eigenen Mitglieder erbringt, argumentieren. Ein paar Hinweise finden sich z.B. hier: Sozialpsychologie des Fremdenhasses
Warum manche Kriege aber bereits in der eigenen Familie beginnen, ist leicht zu beantworten: Die Kinder bringen unerhörter Weise niemals eine Bedienungsanleitung mit.
Hallo Klaus Baum,
Du bringst hier ein Wort in die Diskussion, was mir von der eigenen Empfindung doch sehr fremd ist.
Ich finde Menschen entweder symphatisch oder ich mag sie nicht.
Das, was Du als gesellschaftliches Phänomen beschreibst oder als das von Gruppen, dem fehlt es doch gerade an dem direkten Subjekt, auf welches sich ihr Hass richten könnte. Und ohne speziellen Anlass ist das doch nicht ganz so einfach.
Das, was Du Hass nennst, ist mit der „menschlichen Natur “ doch ziemlich kurz gegriffen. Es muss noch etwas anderes hinzukommen, damit sich dieses „kollektive Selbstgefühl“ entwickeln kann.
Selbst als Kind, auch in den Fünfzigern aufgewachsen, habe ich die Vermittlung von Hass in der Familie nicht erlebt. Was ich erlebt habe, war die Strenge der Erziehung, die dem eigenem Erleben der Eltern entsprochen hat und mich vorbereiten sollte auf das Leben, was sie selbst nicht anders kennengelernt haben.
Und wie Du sicher selbst erfahren hast, waren die Zeiten in den Fünfzigern im Vergleich zu heute wesentlich schwieriger.
Dein vorletzter Absatz irritiert mich doch sehr “ Man muss den Leuten; die einem unheimlich sind, fremd, weil man sie nicht versteht, hässliche Motive unterstellen, …“
Warum? Pegida und AfD gab es bereits vor der grossen Flüchtlingswelle . Ausländerfeindlichkeit und Hass gegen alles Fremde sind im Osten der Republik kein neues Phänomen. Die gab es bereits gegen Vietnamesen als Gastarbeiter in der DDR.
Ich will da nicht tiefer buddeln. Lässt sich das alles Individualpsychologisch erklären.?
„Hass ist die Rache des Feiglings dafür, dass er eingeschüchtert ist.“ George Bernard Shaw
Vor sechs Tagen starb der Psychoanalytiker und Psychologe Arno Gruen, er erkannte u.a., dass Fremdenhass immer auch von Selbsthass gespeist sei.
http://www.nzz.ch/feuilleton/liebe-und-autonomie-1.18634036
http://www.fr-online.de/kultur/nachruf–arno-gruen-ist-tot-,1472786,32233262.html
Herr Baum, ist es aktuell nicht so, daß aus manchen Wutbürgern infolge der sogenannten Flüchtlingskrise Haßbürger geworden sind?
Soziologie und Psychologie hin oder her, WIR HABEN RIESIGE PROBLEME in unserem Land. Und jeder, der in irgendeiner Form aktiv wird, will das ändern. Hass und Liebe sind da nur die gegenseitigen Pole und damit berechtigt. Pegida, wie ich es empfinde, wird nicht von Hass getrieben sondern von Ohnmächtigkeit und dem Versuch sich daraus zu lösen.
Was die Erziehung in den Fünfzigern betrifft, wir hatten damals eine Leitkultur durch unsere Eltern, eine feste Struktur, dabei blieben individuelle Kränkungen, die uns stark machten, nicht aus. Die Jugendlichen heute haben viel mehr Freiheit, können aber die Verantwortung noch nicht tragen und schlingern, nur noch von Apps und Facebook gehalten.
@ R@iner
Zitat: „Fremde sind in erster Annäherung alle diejenigen, die nicht persönlich bekannt sind. Seit Jahrmillionen leben die Vorfahren der Menschen in Gruppen von maximal 100 bis 150 Individuen zusammen. Größere Gruppen werden instabil und brechen irgendwann auseinander“.
Genau dort liegt der Hase im Pfeffer!
„ÜBERBEVÖLKERUNG“
Dem Hass gehen, die als anhaltend wahrgenommenen Diffamierungen, Ungerechtigkeiten sowie Ohnmachtsgefühle voraus, die nicht ohne weiteres abgewehrt, bestraft oder anderweitig bewältigt werden können.
Wenn man so will, ist Hass eine Verknüpfung aus Ratio und Empfinden, dessen Trachten es ist, dasjenige zu zerstören, was seinerseits kaputt macht.
ich beantworte noch dies und das, aber jetzt scheint die Sonne.
Zusatz: Eine „Stabilität der Weltgemeinschaft“ hat es auch nie gegeben…???
„Ich formuliere als These, dass das meiste, was von PEGIDA (im Sinne eines Oberbegriffs) kommt, Unterstellungen, Projektionen sind. Man wirft zum Beispiel den Flüchtlingen unlautere Motive vor, um sich selbst als lauter zu empfinden.“
Bingo! 😉 Das ist ein wesentliches Element, warum die heimelige „Mitte“ überhaupt „Mitte“ sein kann. Die Mitte braucht die „extremen“ Ränder, um sich selbst als im Recht, anderen (moralisch) überlegen fühlen zu können. Die Mitte strahlt um so heller, je dunkler sie (die Deutungshoheit innehabend) das Bild von den vermeintlichen Rändern zeichnet…! Ohne permanente Selbstbestätigung (durch Blicke in den vermeintlichen, meist aber eben nur projizierten Abgrund) funktioniert es auf Dauer nicht. Und völlig davon ab, welche Ansichten in dieser „Mitte“ denn so gehegt werden. „Radikal“ oder gar „Extrem“ kann die Mitte ja schon qua Definition nicht sein. Zumindest in einer 2-Dimensionalen Darstellung. 😉
Das wirklich perfide ist, dass dieses Prinzip auch einer anderen Richtung funktioniert: Viele, die ansonsten CDU und SPD wählen und gegen Arbeitslose hetzen oder zumindest mit dem menschenfeindlichen Projekt Hartz IV oder dem Lohnarbeitszwang gar kein Problem haben, nutzen den „Event“ (wie u. a. auch bei „Charlie Hebdo“) „Flüchtlinge“ um sich selbst mal wieder ein reines Gewissen zu verschaffen, um das Selbstbild mal wieder aufzuhübschen. Vergleichbar mit der gut situierten Rotarierin, die sich einmal im Monat an die Essensausgabe der Tafeln stellt oder im Supermarkt um Spenden wirbt… Für das Konservative Bürgertum sind solche oberflächlichen Alibis fast lebensnotwendig! Deshalb geht man ja auch noch Sonntags in die Kirche und lebt nach außen die glückliche Familie vor. In der Mitte hocken genau jene Bessermenschen, die dem „Gutmenschen“ (der wenigstens in seinen Ansichten halbwegs konsequent ist und z. B. nicht immer wieder kognitiv-dissonant rot-gelb-grün-schwarz ankreuzt) erst seinen negativen Ruf ermöglicht haben.
Auch Merkel hat erkannt, dass sich dieses Thema perfekt eignet, um ein paar Pluspunkte in Sachen Oberflächlichkeit zu machen. Wenn die Welle abgeebbt ist, wird auch wieder über kriminelle Ausländer und, faule Arbeitslose und asoziales Gesocks hergezogen…
Publicviewer,
zu deinem Post von 13.06 Uhr fällt mir nachstehende Glosse ein, deren Verfasser mir entfallen ist:
„Erwartet der Häuptling eines indigenen Stammes fünf Gäste, lässt er ein Schwein schlachten und für deren Bewirtung zubereiten.
Kommen unerwartet fünfzig Gäste, beginnt der Häuptling bedenklich seinen Kopf zu wiegen.
Erscheinen jedoch fünfhundert Gäste, wackelt der ganze Stamm mit dem Kopf und geht daran sein Waffenarsenal zu putzen.“
Dieses als Beispiel gebrauchte „falsche Bewusstsein“ des Löwen nennt sich Ego. Der Ursprung des ganzen Mists.
Grüße, Micha
Zuerst einmal, Klaus, hab Dank für den Buchtipp. Alexander und Margarete Mitscherlich haben sich ja in ihrem Leben, das sie der Psychoanalyse gewidmet hatten, viel über Aggressionsforschung und den damit verbundenen Verknüpfungen, befasst. – Ich bin schon neugierig auf das Buch.
Über Hass gibt es sicher noch viel zu erforschen. Als Massenphänomen ist dies sicherlich noch ein weites Feld der Soziologen. Behandelt hat dieses Thema auch Götz Eisenberg in seinem neuesten Buch,“Zwischen Amok und Alzheimer“, das ich übrigens sehr empfehlen kann.
Auch den Hinweis auf Arno Gruen finde ich zutreffend und hilfreich. Das Thema Hass zieht sich durch seine Werke, wie ein roter Faden. – Eines hat er auch so tituliert, Hass in der Seele, es ist in dialogform geschrieben und ebenso lesenswert.
»Hass tötet / mag die Flamme auch hoch schlagen /
ein Mensch der Liebe nur wird auf erstehn …«
(Else Lasker-Schüler)
Hass tötet noch vom Engel der gebeut?
Die Flamme will euch hoch erschlagen!
Denn ein Mensch der recht nur sich erhält
Wird auferstehn in gottes Tagen!
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