Für mich hat der Begriff des Gutmenschen deutlich pejorativen Charakter, das heißt, er wird in einem herabsetzenden Sinne verwendet. Der scheinbar Desillusionierte, der den Glauben an das Gute im Menschen für naiv hält, setzt sich über den Naivling; der Zyniker setzt sich über den, der humane Werte nicht aufgibt. Der, der über den Gutmenschen lästert, tut so, als hätte er die wahre und überlegene Einsicht in die (unverbesserliche) Natur des Menschen.
In Wirklichkeit aber wohnt der Rede vom Gutmenschen etwas Totalitäres inne, weil sie das Diktum „der Mensch sei dem Menschen ein Wolf“ absolut setzt. Man schlägt sich auf die Seite der Wölfe, heult mit ihnen, macht sich zu ihrem Sprecher. Der bellum omnium contra omnes, bei dem die Sieger immer schon im Recht sind, wird als alternativlos ausgegeben.
Die Geschichte der Philosophie, Literatur und Kunst, die Geschichte des Humanismus zeigt aber, dass ihre Vertreter sowohl eine Einsicht in die Bösartigkeit der Menschen besaßen, dieser aber immer wieder auch entgegensetzten, dass die Bösartigkeit nicht alles ist. Dem Negativen des Menschen wird eine Art Utopie gegenübergestellt, die eine Spannung aufzeigt zwischen dem, was ist, und dem, was sein sollte. Wo diese Spannung kassiert wird, wo der, der diese Spannung für notwendig erachtet, als naiver Gutmensch denunziert wird, wird Totalitarismus angestrebt oder herrscht bereits vor.
Selbst die Nazis, die das zum Gutmenschen analoge Wort der Humanitätsduselei verwendeten, haben ihre Gräueltaten vor der internationalen Welt zu verbergen versucht, was zeigt, dass in ihrem Bewußtsein der Unterschied zwischen human und inhuman noch residual existierte.
Der Gutmenschen-Nichtbegriff verunglimpft sogar alle mir bekannten Tierarten: Wölfe
sind sehr sozial und empathisch, würden sich an ihresgleichen niemals vergehen.
Hätten wir deren Sozialkompetenz, wäre es um uns besser bestellt.
»Gutmensch« ist die Abwertung von »Humanist« – und auf dieses Abenteuer der
Mitmenschlichkeit auch unter widrigen Umständen wollen sich »besorgte Bürger«
nicht einlassen. Oh ja, besorgt sind sie schon: um ihren miefigen Zombiestatus, der
sich u.U. ihnen bislang unbekannten kognitiven Dissonanzen zu stellen haben wird.
Ihr eigentliches Anliegen: Lasst mir bittebitte meine gedankenlose Routine (heute
gerne auch »Tagesstruktur« genannt), quält mich nicht mit Neuem!
Ach, jetzt geht die Begriffsbestimmung des sogenannten „Gutmenschen“ wieder los.
Meines Erachtens sind „Gutmenschen“ Leute, die zwar von der reinen Intention her, Gutes im Schilde führen, aber meist mit ihren Forderungen und Taten das Kind mit dem Bade ausschütten.
die badewannen-kind-metapher verstehe ich in diesem kontext nicht
Ich spiele auf die Gender und Neusprech und political-correctness Typen oder besser meist Frauen an.
Der (wahrhafte) „Gutmensch“ hält unserem ignoranten Michelchen nun einmal (als eine Form von quälend-gutem Gewissen) nervigerweise permanent einen Spiegel vor bzw. erinnert ihn ständig daran, wie er sich meist aus reiner Bequemlichkeit (im Gegensatz zum Gutmenschen), Denkfaulheit, Untertanengeist und Opportunismus im echten Leben (sei es in der Familie, grade im Job oder im Alltag) im Ergebnis eben in aller Regel wie ein ignorantes A…loch verhält! Er mindert so den wichtigen „Wert“ des selbst verliehenen Prädikates „gut“. Insbesondere zeigt er damit die Widersprüchlichkeiten jener bräsigen Leutlein aus der „Mitte“ auf, die sich selbst regelm. als die eigentlichen „Leistungsträger“ dieser Gesellschaft sehen. Vor allem aber sind auch diese „Tunichtgut“-Menschen natürlich vollkommen davon überzeugt, „gut“ zu sein – darauf baut ja die ganze Scheinwelt aus Karriere, Statussymbolik und Konsum auf. So tickte diese „Mitte“ ja schon immer; auch damals, als sie in großer Mehrheit den Nazis bei ihrem Treiben zusahen – und hinterher von nichts gewusst haben wollten. Der Gutmensch ist der Stachel im Fleisch des in einer Blase aus Ignoranz vor sich hinlebenden / -funktionierenden Bürgertums; der Unter- und grade der Mittelschicht. Weil auch der Degenerierteste dieser unterwürfigen, heuchlerischen, nach oben buckeln- und nach unten tretenden, hündischen Bücklinge sehr wohl im tiefsten Innern die eigene Verderbtheit erkennt; trotz aller hochgezogener Wände aus kognitiver Dissonanz beim Vergleich mit dem „Gutmenschen“ eben an all seine Fehler und Unzulänglichkeiten erinnert wird…
Nur in so einer vollkommen entsolidarisierten Un-Gesellschaft wie der Deutschen kann überhaupt ein Ausdruck wie „Gutmensch“ entstehen. Aber was regen wir uns auf…? Ist doch nicht neu. Man vergegenwärtige sich die derzeitige „Stimmung“ in diesem Land. Ist halt doch einmal mehr die ängstliche Mitte, die wie schon im Mittelalter aufgehetzt von einigen wenigen mit Fackeln und Mistgabeln der nächsten auerkorenen Hexe hinterherhetzt…! Jene „Mitte“ aus angeblich vernunftbegabten (SPD-, Grüne und Union wählenden…) Wesen, deren hässliche Fratze viele Linke ja auch in aller Regel nicht sehen wollen…!
Ich finde es durchaus wichtig, immer wieder auf die Nazisprache hinzuweisen. Gerade die „Humanitätsduselei“ war ein abwertender Begriff im Nazi-Deutschland, um Mitleid, Gnade, Mitgefühl, Humanismus und Empathie als etwas schlechtes abzuwerten.
Die ständige Diffamierung von Linken als „Gutmenschen“ entlarvt die Rechten als „Schlechtmenschen“.
@epikur, danke für die ergänzung. ich sehe es genau so!
Diejenigen, die zur Diffamierung Andersdenkender das Wort „Gutmenschen“ verwenden, bezeichnen sich selbst gern als „Realisten“. Drum hängen sie als Zusatz an den „Gutmenschen“ oftmals auch noch ein „und (linke) Realitätsverweigerer“ an.
Ich lese gerade – wieder einmal – Klemperers „LTI“. Bestimmt schon zum sechsten oder achten Mal. Jedes Mal eröffnen sich wieder neue Aspekte. Denn oftmals verbindet man es ja auch mit aktuellen Erlebnissen, aktuellen Gedanken. Und zieht daraus neue Schlüsse, neue Verbindungen.
Das sollte überall Pflichtteil des Lehrplans an den Schulen sein! Das eröffnete zumindest die Chance zu verstehen, wie „Sprache für dich denkt und dichtet“.
@epikur
Zu „Humanitätsduselei“ fällt mir noch „Gedöns“ (uKaZ ungefärbtester Kanzler aller Zeiten) ein.
Ich finde diesen Artikel aufschlussreich, der die Tatmotive Breiviks analysiert; insbesonders den Teil über seine Haltung zum ‚Kulturmarxismus‘. Dort wird auch eingegangen auf die Begriffsgeschichte von ‚Gutmensch‘: nämlich das darin sich widerspiegelnde, tief sitzende Ressentiment des konservativ-bürgerlichen Lagers gegen den ‚Kulturmarxismus‘ (i.e. Kritische Theorie) durch ein „das wird man ja noch sagen dürfen“, um die weit verbreitete xenophobe Grundhaltung und Nationalismus als bürgerliche Werte zu bewahren.
P.S.: Übrigens ganz interessant zu Breivik: Auf spOn kritisiert die Gerichtspsychiaterin, dass die antiislamischen Tatmotive als geisteskranke Wirrung abgewertet und damit letztenendes Breivik entlastet hätten. Sie kritisiert, Terrorismus würde nach zweierlei Maß gerichtet, „bei der Baader-Meinhof-Gruppe wäre keiner auf den Gedanken gekommen, die Terroristen für schuldunfähig zu erklären“.
Bei Friedrich Nietzsche heißt der Gutmensch ‚Prediger‘ und andernorts Moralist.
Der Gutmensch, ingleichen wie sein Widerpart, befehdet/verunglimpft die Präferenzen, die Attitüde des jeweils anderen und beide übersehen bisweilen die negativen Folgen ihrer antagonistischen Forderungen.
Ist Gutmensch im aktuellen Zusammenhang (=manipulierter Zivilsoldat) einen akademischen Diskurs wert?
Nein – eher einen Eimer eiskalten Wassers!
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