Heute am 24. Januar 2018 hörte ich um 17:30 folgende Nachricht auf Deutschlandfunk:
„Kulturstaatsministerin Grütters hat die geplante Entfernung eines Gedichts von der Fassade einer Berliner Hochschule gerügt.
Die Entscheidung des Akademischen Senats der Alice Salomon Hochschule sei ein erschreckender Akt der Kulturbarbarei, sagte die CDU-Politikerin. Kunst und Kultur brauchten Freiheit sowie einen Diskurs. Das sei eine der wichtigsten Lehren aus der Geschichte.
Das Gedicht „Avenidas“ des Begründers der sogenannten „Konkreten Poesie“, Eugen Gomringer, soll übermalt und durch ein anderes ersetzt werden. Studentenvertreter hatten die Zeile -Zitat- „Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer“ kritisiert. Damit würden Frauen zum Objekt männlicher Bewunderung degradiert.“
Ergänzend füge ich hinzu eine Textstelle aus der Berliner Zeitung:
Er habe beim Schreiben 1951 an eine Situation gedacht, die er auch am Freitag wieder erlebt habe, sagte Gomringer. „Ich bin heute spazieren gegangen und was sehe ich: eine wunderbare Allee, sehr viele Blumen und sehr schöne Frauen.“ Diese Situation wiederhole sich immer und immer wieder.“
– Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/28381048 ©2018
Ich habe sofort den Suhrkamp-Verlag aufgefordert unter anderem jene Textstelle in Prousts Recherche zu entfernen, in der in einer Allee Madame Guermantes auf den Autor zukommt, und dieser hat die Empfindung, es begegne ihm das Absolute.
Was sind diese Studentenvertreter doch für geistlose Würstchen. Die Einschätzung des Gomringer-Gedichts als frauenfeindlich ist noch nicht einmal politisch korrekt.
Ich bin auch mal „spazieren gegangen und was sah ich: eine wunderbare Allee, sehr viele Blumen und sehr schöne“ Menschen. Tatsächlich habe ich noch viel mehr gesehen. Zum Beispiel Männer und Frauen, die in den Mülleimern der Allee nicht mehr nur nach Pfandflaschen sondern auch essbarem suchen. Dann bin ich weiter gegangen, weil es nichts mehr zu sehen gab, dessen sich auch nur ein Blick gewürdigt hätte.
Die Saat geht auf, zeitigt ihre unerquicklichen Seiten!
Mikroaggression und similäre Schöpfungen entwickeln eine Dynamik, die den Geist pervertieren.
@katze aus dem sack, gewiss, aber die zeiten waren damals noch nicht so. konkrete poesie, deren begründer gomringer war, ist per se reduktionistisch. der hauptpunkt liegt auf der kritik an jenen idioten, die die bewunderung eines menschen nicht verstehen
@ Klaus Baum
Was hätte der Autor denn auch sonst schreiben sollen? Er sähe schöne Männer? Zur damaligen Zeit wäre das glatt gelogen.
Das thema ging in Berlin mehrfach durch die presse, seit im april 2016 der AStA der ASH einen offenen brief geschrieben hatte. Darin hieß es:
»Die U-Bahn-Station Hellersdorf und der Alice-Salomon-Platz sind vor allem zu späterer Stunde sehr männlich dominierte Orte, an denen Frauen* sich nicht immer wohl fühlen können. Dieses Gedicht dabei anzuschauen wirkt wie eine Farce und eine Erinnerung daran, dass objektivierende und potentiell übergriffige und sexualisierende Blicke überall sein können.
Eine Entfernung oder Ersetzung des Gedichtes wird an unserem Sicherheitsgefühl nichts ändern. Dennoch wäre es ein Fortschritt in die Richtung, dass es unsere Degradierung zu bewunderungswürdigen Objekten im öffentlichen Raum, die uns Angst macht, nicht auch noch in exakt solchen Momenten poetisch würdigen würde.«
Da kann ich mich nicht des eindrucks erwehren, daß die einen gehörigen knall haben. Man kann das gedicht vom bahnsteig der u-bahn-station Hellersdorf aus sehen – es ist aber ganz bestimmt nicht schuld daran, daß der bahnhof leider der gefährlichste in den östlichen randbezirken Berlins ist. Anstatt, daß sie ein konzept fordern, wie man den bahnhof und den platz vor der uni so gestalten kann, daß frauen sich dort auch nachts sicher fühlen können, fordern sie die übermalung eines gedichts, in das sie etwas reininterpretieren, das gar nicht drinsteht. Und überhaupt: was ist an einem blick übergriffig?
Im übrigen steht in dem gedicht überhaupt nichts von »schönen« oder »jungen« frauen, da ist schlicht von »frauen« die rede – sie könnten also auch aussehen wie das zahnlose ömchen, das manchmal am u-bahnhof maiglöckchen verkauft.
Es sind Eiferer, nein: EifererInnen.
»avenidas
avenidas y flores
flores
flores y mujeres
avenidas
avenidas y mujeres
avenidas y flores y mujeres y
un admirador«
eugen gomringer
Alice Salomon Poetik Preis 2011
Ins Deutsche übertragen bedeutet das:
alleen
alleen und blumen
blumen
blumen und frauen
alleen
alleen und frauen
alleen und blumen und frauen und
ein bewunderer
Die Studentenvertreter meinen, mit diesem schönen Gedicht würden Frauen ‚zum Objekt männlicher Bewunderer degradiert‘? Wenn diese Einstellung sich durchsetzt, könnte der größte Teil der bildenden Kunst und der Dichtung entsorgt werden.
War der Autor überhaupt Heterosexuell? Oder hat er den Frauen nur deshalb so aufmerksam gewürdigt, um damit seine eigene sexuelle Orientierung ablenkend zu kaschieren? Zur damaligen Zeit war offen gelebte Homosexualität ja noch nicht so tageslichttauglich. Ich weiss gar nichts.
@ Katze aus dem Sack
Der autor lebt noch. Er ist am vergangenen samstag 93 jahre alt geworden. Er ist verheiratet und hat meines wissens eine tochter.
Lest James Joyce und Henry Miller!
@ Mechthild Mühlstein
Dann könnte ich ihn befragen, lasse es aber sein. Es scheint sich wohl eher um ein neurotypisches Phänomen zu handeln. Lasse ich haltungslos einfach laufen. Als asexuell geborener Mensch, fühle ich mich schon etwas diskriminiert. Was man von mir und allen anderen so Geprägten alles erwartet. Können wir doch gar nicht leisten. Diskriminisierung!!
@mechthild: welchen genau? den mit ortshinweeis? an der wand ….?
den ersten mit dem gedicht.
das gedicht ist 2 mal gepostet
Ja. Beim ersten hatte ich das html-tag für kursiv falsch gesetzt. Beim 2. steht es da, wo es hingehört: was an der wand steht, ist in kursiv, die übersetzung in normaler schrift.
Ach Lord Baum,
ich machte Dich zum Objekt
ich mach Dich zum Objekt
und zum Introjekt
und zum Projekt
ich bewundere Deine magischen Lippen – wie Himbeeren im Sommerabend leuchtend
und ihren kleinen süßen Schwung zum Kinn – wie zu Davids in Firenze,
die gerade Linie Deines Nasenprofils
und Deine glatte Haut – wie Waldgeist in der Dämmerung schimmernd
und Deine klaren Lenden – wie von Knabenstatuen
und Deine schönen Fotografenhände
und Deine wohlgeformten Füße
die Augenbläue
und Deine Stimme, die bis in den Bauch vibriert
und sagt, dass Du meinen HIntern bewunderst
und meine schrägen Augen liebst
wie wir uns zum Objekt machen
und nicht stets über die inneren Werte zu sprechen
wie wir so heiß aufeinander sein können
wie wir uns bewundern
oh je, wie wir uns Objekte
und Introjekte
und Projekte
wurden
Du Weichhaut-Faun
Du Knabenlende
ich bewundere Dich
und du mich
Ach wir sexistischen Säue
Krämerseele und Pharisäertum, sowie ein sich nunmehr lustvoll entrollendes, inquisitorisches Empörungsgehabe sind in eins zu setzen.
Moral ist die neue Confessio einer postreligiösen Gesellschaft und ein vulgärer Hypermoralismus ihr theologisches Postament.
@ Baums Lady
Eindrucksvoll – zephirisch
Diese ‚geistlosen Würstchen‘ lassen jegliches Gespür für Kunst und Schönheit
vermissen. Man kann wohl davon ausgehen, daß sie auch die Liebe nicht kennen,
weder die zur Frau, noch die zu Blumen, oder zur Natur und zu den Menschen überhaupt.
Sie wissen also nichts vom Himmelreich auf Erden. Wenn sie nicht so zerstörerisch wären, täten sie mir leid. Denn eigentlich sind sie arme Würstchen.
Danke @Lady Baum. You made me smile.
@ pentimento @sledgehammer
…Zephir und Lächeln, yes, passt zu Klaus…
Im Katalog zur Ausstellung THE FAMILY OF MAN gibt es ein Foto eines Liebespaares im Gras und darunter zitiert aus Joyce’s Ulysses:
and first I put my arms around him yes and drew him down to me so he could feel my breasts all perfume yes
and his heart was going like mad and yes I said yes I will Yes.
another smile yes
@ Lord Faun im Gras
yes yes yes
wie schön, dass das hier keine jener Verfolgenden
von einer Wand löschen
können
Der Feind ist gut im Eins auswischen. Im Wegwischen ist er miserabel. So, bezwingen die den weissen Wal jedenfalls nicht.
Du Knabenlende
ich genieße Dich
geschmort und in
Burgundersauce …
Spaß beiseite – aber Eugen G. hat die ganz normale Reaktion eines normalen Mannes auf mannigfaltige Umgebungsschönheit in ein Weltklassepoem gekleidet! Geht mir nicht anders, wenn ich an einem schönen Tag in dazu passender Stimmung promeniere oder einfach spaziere? Bin ich jetzt ein potentieller sexueller Straftäter, den man präventiv aus dem Verkehr ziehen oder zumindest mit Fußfesseln versehen sollte?
@ Klaus: im Ulysses gibt es jede Menge erotischer Passagen, einschließlich Selbstbefriedigung und Bordellbesuch. Mr. Bloom macht eigentlich den ganzen Tag nichts anderes, als Frauen hinterher zu sehen, wenn er nicht gerade was trinkt oder ein Geschäft anbandelt. Er ist sozusagen das Gegenteil des politisch oder sonstwie korrekten Menschen.
Wer also Frauen bewundert, degradiert diese zum Objekt männlicher Bewunderung? Wieso ist das ab sofort eine Degradierung, wenn ich jemanden zum Objekt meiner Bewunderung mache? Wäre es besser, wenn ich jemanden zum Subjekt mache um daran Abwertungen vorzunehmen? Ehrlich Leute, ich bin da raus. Geht ja mal gar nicht.
Hallo Herr Baum: Irre ist irre ist irre, seit wann läßt sich irre („immer irrer“) steigern? Gruß, Mike
@ Mike
Kein Zweifel, „irrer“ klingt irrer, als „irre“, und das sollte es ja wohl, ooder ? 🙂
Gewiss gibt es nicht steigerungsfähige Adjektive – wenn das Wort an sich schon einen Superlativ ausdrückt.
„Irre“ gehört nicht dazu – es geht in der Tat was irrer als irre bis hin zum allerirrsten…:-D
@ Baums Lady
Comme il faut!
Das Äquivalent für irre wäre psychotisch und ex aequo steigerungsfähig.
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