»We can easily forgive a child who is afraid of the dark, but the real tragedy of life is that adults are afraid of the light.« (Platon, zitiert nach einer Arbeit von Joseph Kosuth)

Wer aus einem universitären Umfeld kommt und sich mit Künstlern unterhält, dem wird immer wieder bewußt, in welch starkem Maße der Wissenschaftler es verlernt hat, seine Empfindungen, die ihm doch die Realität zutragen sollten, wahrzunehmen und auszusprechen. Als ich nach langer Zeit Roland Helmus wieder begegnete, war ich überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit und Offenheit er über seine Erfahrungen beim Malen sprach. Seine Bilder haben mich von Anfang an interessiert, ich habe, noch als er Ende der 70er Jahre >Realist< war, sein Können als Maler und Zeichner bewundert, und diese Bewunderung ging über in Faszination, als er ‚1984 Solo malte, das Bild eines farbigen Saxophonisten, ein Bild, auf dem Blau und Gold, das Blau der Nacht und das Gold des Saxophons funkelnd ineinanderfließen. Bei den Bildern, die darauf folgten (Stadt. Spiegelung, Figur mit Landschaft, Insassen, um nur einige zu nennen), hielt mich, wie Paul Valery es in einem anderen Zusammenhang einmal formulierte, die »Wollust des Sehens wie ein quälender Durst vor dem köstlich gewebten Licht gebannt, dessen Reichtum ich nicht auskosten konnte«. Wollust des Sehens, weil diese Bilder eine derart magische Anziehungskraft besitzen, daß man in sie eintreten möchte, um darin zu verschwinden. Gleich Proust verwandelt Helmus in jenen Bildern aus den 80er Jahren die scheinbare Banalität alltäglicher Situationen in Poesie.

Wir sprachen über seine Erfahrungen im schöpferischen Prozeß, der sich im Laufe der Zeit für ihn modifiziert und erweitert hat, bedingt durch die Veränderung des Sujets, denn der Anteil des Abbildhaften ist in seiner Malerei nahezu verschwunden. An die Stelle der Darstellung vorhandener Lichtphänomene ist die Hervorbringung getreten, die Kreation von Licht, das zumeist aus der Dunkelheit kommt. So ist der Vorgang des Malens offener geworden und damit eine Stufe der Darstellung erreicht, auf der man mit dem Problem konfrontiert wird, Zufall und Notwendigkeit so zu synthetisieren, daß am Ende das Gefühl sich einstellt, hier stimme alles, Zufall und Notwendigkeit befänden sich in einem labilen Gleichgewicht.

Das Stimmige des Bildes tritt in Erscheinung als Fremdes, Unbeabsichtigtes: Der Maler wird gleich-sam überrascht von seinem Produkt, von dem er aber oft nicht sagen kann, ob es >vollendet< ist, denn der Vorgang des Malens besteht aus einer Fülle von Entscheidungen, von sich einstellenden Alternativen, wobei jede einzelne – bewußte oder instinktive – >Setzung< der Farbe zugleich eine Skrupel verursachende Ausgrenzung beinhaltet.

Für Roland Helmus werden beim Malen die Farben zu einem beseelten Material, vor dem im Laufe der Jahre sein Respekt gewachsen ist. Je mehr Erfahrungen er im Umgang mit Farbe gemacht hat, das heißt, und das ist meine Einschätzung, je mehr er Meister der Farbe ist, desto deutlicher ist ihm auch geworden – gleichsam paradox -, daß er nicht Herr der malerischen Materie ist. Zwar ist die Auflösung der Gestalt, ihr Verschwommenes, Undeutliches, Mehrdeutiges beabsichtigt, doch wie diese in ihrer vorläufigen Endgültigkeit aussehen wird, ist zu Beginn völlig offen, und so wie die Gestalt der Erscheinung oder die Erscheinung der Gestalt sich erst schattenhaft konturiert, so auch mit ihr die Komposition der Farbpartikel, Pinselstriche und Farbschichten. Sämtliche Elemente bedingen einander, verwachsen zu einer Art organischer Struktur.

Die entstehende Unschärfe der Darstellung ergibt zugleich ihr Vieldeutiges. Die Gestalt auf den Bildern läßt sich zwar mühelos als menschlicher Körper identifizieren, jedoch als einer ohne Geschlecht, was folglich bedeutet, daß hier entweder eine Differenzierungsmöglichkeit aufgegeben oder etwas Allgemeineres thematisiert wird, etwas, das jenseits der Geschlechtertrennung liegt, und das ist zwangsläufig die Conditio humana, die Grundbedingung menschlichen Daseins.

Ich habe Roland Helmus auf Francis Bacon angesprochen, zu dem er eine Affinität besitzt, und er hat betont, daß es ihm nicht um die Darstellung menschlichen Leidens, um seelische und körperliche Spannungszustände geht, sondern um das Leiden der Materie selbst.

Das Leiden der Materie? Darunter versteht er, daß er die Farbe malträtiert und durchknetet, um im Bild zu einem Ausdruck zu gelangen, um etwas aufscheinen zu lassen, das uns auf eine vieldeutige Art und Weise berührt und die Phantasie stimuliert. Ich denke, daß er mit der Vorstellung, derart auf Farbe einzuwirken, sein eigenes seelisches und körperliches Befinden, das Mühselige und mitunter Peinigende des Malprozesses auf die Farbe überträgt, die ja für den prosaischen Verstand nur tote Materie ist, eine pulverisierte mit Öl vermischte Substanz.

Der Künstler aber, der sich in die Immanenz des Werkprozesses hineinbegibt, verfügt über seine Materialien nicht als distanziert Überlegener, sondern wird mit ihnen partiell identisch, so daß die eigene Qual, Stimmigkeit und hohes Niveau zu erreichen, zur Qual der Materie wird. Es gibt kein Gelingen ohne schmerzhafte Anstrengung, ohne Stocken, ohne Hindernisse und Frustrationen. Ein Maler wie Helmus sieht sich dem Druck der eigenen Maßstäbe ausgesetzt, stets unsicher, ob er diese auch wirklich erfüllt. Materie, die erst ein Stadium der Disharmonie durchlaufen muß, um am Ende im vorläufig beendeten Werk den Aggregatzustand eines flüchtigen Gleichgewichts zu erreichen: Das klingt, und dies ist meine Deutung seiner Worte, nach Kreuz, ohne das es keine Entstofflichung der Materie gibt. Ohne Leiden keine Vergeistigung. Die menschliche Gestalt erreicht in der Malerei von Roland Helmus eine Art Durchlässigkeit, und diese korrespondiert für ihn mit dem Gedanken der fragilen Balance, die zu realisieren ist, um aus dem Leiden der Stofflichkeit hinaus zu gelangen.

Aufhebung der Stofflichkeit, das Aufzehren des Leidens in der Darstellung, ist bei ihm Vergeistigung der Materie, eine Vergeistigung allerdings, die an das molekulare Gefüge gebunden bleibt. Von daher bewegen sich seine Bilder im >Spannungsfeld von Figuration und Abstraktion< (Anne Rüegsegger), und in diesem Sinne ist es auch zu verstehen, daß sein Sujet nicht der menschliche Körper ist, sondern das Licht, das im Medium der menschlichen Gestalt sichtbar wird. Inmitten des mitunter düster wirkenden Umfeldes scheinen die Figuren auf den Bildern von innen her zu leuchten. Beeindruckt u. a. von Molekularbiologie und Heisenbergscher Unschärferelation, möchte er in seiner Darstellung eine Transparenz der Materie realisieren, so als wäre der Mensch keine ideologisch verfestigte Barriere, keine verhärtete, gewalttätige und somit opake Masse, sondern durchlässig, >enlightened<. Aus der Dunkelheit heraus leuchtet das Mögliche wie das berühmte Licht am Ende des Tunnels, von dem man nicht weiß, ob man es je erreicht.