Ich hatte neulich einen kleinen Disput mit Ernst August. Warum? Ich hatte versucht, in einem einzigen Satz die Vernünftigen von den Unvernünftigen abzugrenzen. Meine These lautete, dass die Tragik des Lebens darin besteht, dass die Vernünftigen immer wieder versuchen, die Unvernünftigen mit Argumenten zu erreichen und ihre „Denke“ in die Fähigkeit des Denkens zu verwandeln.
Heute weist Hartmut Finkeldey auf ein Zitat von Sascha Lobo hin, das dem ähnelt, was ich neulich sagen wollte, wozu ich aber zu träge war.
>>Eine der simpelsten gedanklichen Verknüpfungen, die Kausalität, misslingt regelmäßig. „Es regnet, weil die Straße nass ist“, in den digitalen Fußgängerzonen fände man Aberhunderttausende, die diesen Satz nicht nur unterschreiben, sondern gleich zur Bundestagspetition ausformulieren würden, inklusive der Forderung, Regen zu verbieten und die Straße abzuschieben. Wie soll man mit Leuten, die mit dem Wörtchen „weil“ unzusammenhängenden Quark zur Pauschalbehauptung verbinden, über komplexere Themen diskutieren? Die Antwort macht mich fertig, denn sie lautet: gar nicht. Es geht nicht.
Es fehlt auch jedes Gespür für Verhältnismäßigkeit. Wie kann man ernsthaft von „Merkel-Diktatur“ sprechen, weil einem zwei Regierungsentscheidungen nicht passen? Wer solche absurden Fantastereien ohne jeden ernsthaften Beleg rausknötert, katapultiert sich selbst aus der Sphäre, in der politische Diskussionen stattfinden. Hinein in das Donald-Trump-Universum, in dem ein dumpf bauchgefühlter Halbsatz mehr gilt als 3000 Jahre Zivilisationsaufbau.<<
War ich wirklich zu träge? Vielleicht; vielleicht aber auch nicht. Denn ich war davon ausgegangen, dass meine fb-Freunde wissen, was die Bemühungen über die Bestimmungen des Begriffs der Vernunft seit der Aufklärung für Ergebnisse zeitigten. Ein Ergebnis ist die Ablösung des Aberglaubens durch das Denken in Kausalzusammenhängen. Lichtenberg formulierte es so:
„Dass in den Kirchen gebetet wird, macht den Blitzableiter auf ihnen nicht überflüssig.“
Das Denken in Kausalzusammenhängen hat sich seit der Aufklärung weiterentwickelt und weit verbreitet. Mein ehemaliger Hausarzt lehnte regelmäßig von mir erwünschte Therapieversuche ab, weil seiner Meinung nach zwischen der Art der Behandlung und dem gewünschten Ergebnis kein eindeutig beweisbarer Zusammenhang bestehe.
Nun, die Verabsolutierung des Kausalitätsprinzips kann nicht minder zur Verbohrtheit führen als es die Einbildung tut, und diese bestimmt viele Menschen, die unfähig sind, sich eigene, fundierte Urteile zu bilden.
Wir durchlaufen in unserer Entwicklung eine starke Phase der Phantasie. Wer als Kind Geschichten gelesen hat, wird sich daran erinnern, wie er die Worte mit Bildern verbunden hat, er hat beim Lesen Vorstellungen gehabt, hat Räume, Orte, Landschaften, Menschen imaginiert.
Wenn aber den Menschen, die das Leben von Arbeitslosen nicht kennen, Bilder, falsche, erlogene Bilder suggeriert werden, wenn also das Bild die Erfahrung ersetzt, kann es gefährlich werden.
Der Arbeitslose liegt faul in seiner Hängematte (wo kann er die eigentlich aufhängen?), und die Tante Springer hetzt die Meute auf: „Die faulen Säcken machen sich ein bequemes Leben von euerem sauer verdientem Geld.“
Dass Opel oder Nokia mal eben ein Werk schließen, kriegen die geistig Minderbemittelten und Propaganda-Verführten gar nicht mit. Lobo attestiert ihnen Quark im Kopf.
Neben dem Kausalitätsprinzip gibt es unter anderem zwei Weisheiten, die ziemlich alt sein müssen. Die eine lautet: audiatur et altera pars und die andere: nimm nicht das Teil oder die Teile für das Ganze – kein pars pro toto.
Wer auf eine Person oder einen Personenkreis das Schurkenmäßige projiziert, will in der Regel nicht darüber belehrt werden, dass er da etwas Falsches tut. Aus 15 übergriffigen „arabisch aussehenden Männern“ macht er gern 1000, dann am Ende ALLE.
Ich habe seit den Tagen nach Silvester in Radiokommentaren oft von den patriarchalischen Gesellschaften in Nordafrika oder Westasien gehört: Ich kenne mindestens drei iranische Familien, und zwar seit den 70er Jahren. Bei denen dominieren die Frauen und die iranischen Gatten kuschen.
Was nun die Regel „audiatur et altera pars“ (höre auch die andere Seite) betrifft, wird diese nur von ganz wenigen Menschen hierzulande befolgt. Den anderen schlechtreden, reicht schon, um ihn draußen zu halten. Kommissionen machen sich dann selten die Mühe, sich selber ein unvoreingenommenes Urteil zu bilden, sofern sie überhaupt genügend Urteilskraft besitzen.
Meine These lautet: Die Lobo’schen Quarkköpfe sind von dieser Gesellschaft gezüchtet worden. Man lese nur: Walter van Rossum, Meine Sonntage mit Sabine Christiansen (2004) oder von Thomas Wieczorek, Die Verblödete Republik (2009).