Notizen aus der pädagogischen Unterwelt

Ein Beitrag von Someone

Ich sollte zur Erholung und kam in die Hölle.

Mitte Mai 1951. Hagen Hauptbahnhof. Ich bin 4 Jahre alt und winkte aus dem Abteilfenster eines Sammelzuges in Richung Bad Reichenhall meiner Mutter auf dem Bahnsteig zu. Sechs Wochen Erholungskur wegen chronischer Bronchitis (übrigens damals eine Stadarddiagnose) im Kinderkurheim Staufenhof, 800 km entfernt von zu Hause – ohne Bezugsperson und nur mit fremden Kindern  -, haben mich traumatisiert. Eine weitere, sechswöchige „Erholungszeit“ im Staufenhof Bad Reichenhall-Nonn fand 1956 statt. 

Das Thema „Verschickungskinder“ ist seit einigen  Monaten in den Medien virulent und türmt sich zu einem Riesenskandal auf. 

https://www.swr.de/report/erniedrigung-statt-erholung-wie-kinder-in-kurheimen-gequaelt-und-traumatisiert-wurden/-/id=233454/did=24601462/nid=233454/6q0wyx/index.html 

https://www.spiegel.de/geschichte/verschickungskinder-misshandlung-im-ferienheim-a-1297086.html 

Es gibt inzwischen eine bundesweite Initiative der Betroffenen und einen Forschungsauftrag:

http://www.anjaroehl.de/verschickungsheime/comment-page-1/ 

https://nexus-survey.de/index.php?r=survey/index&sid=192261&lang=de

Die Erlebnisberichte auf der Webseite von Anja Röhl (Tochter von Ulrike Meinhof „Bambule“) sind für mich sehr verstörend, weil sie nach über 50 Jahren der Verkapselung des Traumas flashbacks induzieren, die schmerzhaft sind. Aus diesem Grunde verzichte ich auf Details, die mir aktuell wieder hochkommen. Die dunkle Wand der Erinnerung bleibt stabil. Keine Traumatherapie, keine Aufarbeitung. Ich lebe heute materiell und gesundheitlich wie sozial privilegiert. Was bleibt, ist eine kalte Wut. Das Heim, das vor vielen Jahren abgebrannt ist, stand in der Trägerschaft der AWO Bayern, die ich jetzt um Personallisten und andere historische Daten über diese Villa gebeten habe. 

Nach dem Skandal der sexuellen Gewalt an Kindern durch kath. „Würdenträger“ wird dies ein weiterer Schatten sein, der sich auf das Land legt, dass alljährlich mit prominenter Mischpoke „Ein Herz für Kinder“ veranstaltet. Mir geht es im Gegensatz zu den Vernetzungsmotiven von Frau Röhl nicht um eine Entschädigung, sondern um die öffentliche Entschuldigung der verantwortlichen Institutionen von denen ich selbstverstandlich auch Unterstützung durch Transparenz und Einsicht erwarte. 

Es ist mir wichtig, mit diesem Gastbeitrag die Reichweite des Themas zu vergrößern und einem sozialkritisch interessierten Personenkreis zugänglich zu machen.