Ich bin Adorno nie persönlich begegnet. Im Jahre 67 sollte ich für den Deutschunterricht am Hessenkolleg in Kassel ein Referat über Becketts Endspiel erarbeiten. Das war der Anlass, erstmalig zu einem Text von Adorno zu greifen „Versuch, das Endspiel zu verstehen“. Doch zu diesem Zeitpunkt gefiel mir die umfangreichere Studie über „Samuel Beckett“ von Hugh Kenner in der Reihe „Literatur als Kunst“, herausgegeben von Walter Höllerer, besser.
Zum Studium landete ich im Oktober 1968 in Hamburg an der Kunsthochule am Lerchenfeld. Professor Fritz Seitz, der die bauhausorientierte Ausbildung vertrat, äußerte 69, nach dem die Studentinnen vor Adorno ihre Brüste entblößt hatten, ihn hätte dergleichen nicht „schockiert“, er hätte eher daran gedacht, dass diese jungen Frauen wohl gefroren haben müssen. Und da ist da noch eine zweite Erinnerung: In einer Publikation über Visuelle Kommunikation fand sich eine Art Karikatur, deren Urheber sich einer Werbung von Lord Extra bedient hatte: Elegante Leute standen in Polohemden auf einem „gathering“ herum, und einer von ihnen sagte: „Dialektik ist das konsequente Bewußtsein von Nichtidentität:“ Ein Satz, der in diesem Milieu der Schickeria auf komische Weise fremd wirkte, war aber auch mir in seiner Bedeutung verborgen.
1971 verlies ich die HfbK und wechselte zur Uni. Das künstlerische Treiben war mir zu begriffslos, und ich schrieb mich bei den Philosophen ein. Mein erstes Seminar absolvierte ich allerdings in Germanistik bei Ulrich Wergin über Schillers „Briefe zur ästhetischen Erziehung des Menschen“. Das war die Gelegenheit, über Adornos „Minimal Moralia“ ein Referat zu verfassen, das mit dem Satz endete: „Entfremdet ist, wer dem Fremden fernbleibt.“ Schiller hat ja in seinen Briefen eine Vorstellung vom Menschen entworfen, der zufolge dieser sich entwickeln und so viel Welt in sich aufnehmen müsse, wie nur möglich. Um meinen ersten umfangreicheren Adorno-Studien ein atmosphärisches Element hinzuzufügen: Ich hütete im Winter 70 die Wohnung der Familie Wiedemann in Othmarschen ein und war tagsüber derart heftig den Reizen und Verlockungen der Großstadt ausgeliefert, dass mein Inneres erst zur Ruhe kam, wenn draußen nichts mehr lief, so in etwa ab Mitternacht. Da konnte Konzentration eintreten, und ich arbeitete mit Hilfe eines guten Schwarztees bis um Fünf in der Frühe und schlief dann tagsüber.
Etwa ein Jahr später, ich wohnte mittlerweile auf dem Land allein in einem Haus, was manchmal zum Fürchten war, saß ich an einem weiteren Referat über Sprache bei Adorno. ProSeminar bei Beutin in Linguistik. Hier passierte es, es war wie ein Erleuchtungserlebnis: Was ich in der „Negativen Dialektik“ zu lesen bekam, war die Umwertung der Urteile über Sachverhalte. Ein Beispiel: Bei Wiedemanns traf ich eines Tages einen damals sehr bekannten, fernsehpräsenten Dokumentarfilmer, der meine Urteile über verschiedene Sachverhalte mit den Worten, das sei doch nur subjektiv, abqualifizierte. Bei Adorno las ich, dass bündig Durchlebtes keineswegs nur subjektiv sei und dass das Subjektive keineswegs eine herabzuwürdigende Qualität wäre, anders denn als Subjekt sei keine Erfahrung möglich.
Als ich dieses Referat, vorwiegend über die Einleitung zur Negativen Dialektik, geschrieben hatte, war ich – wie es im Englischen heißt – „hooked“. Die Kunst, die von diesem Augenblick an einzuüben war, bestand darin, von Adorno zu lernen, ohne wie er zu schreiben, denn wer sich seiner Sprechweise bediente, wurde sogleich verunglimpft, wurde als Adornit abqualifiziert.
Wer aber nur einen Hauch von Kritik, nicht einen Hauch, der sich über alles legte, sondern sich auf einige winzige Stellen bezog, hatte es bei Rolf Tiedemann, dem ehemaligen Leiter des Adorno-Archivs, verschissen. Ich hatte in meiner nun 35 Jahre alten Diss über Adorno und Schelling schon im Vorwort eine Unterscheidung zwischen irrealer und realistischer Utopie getroffen. Tiedemann hat dies als Kritik an Adorno verstanden und mir eine Stelle im Adorno-Archiv verwehrt, weil eine Anmerkungsziffer in meiner Arbeit fehlte, ohne zu bedenken, dass den frühen Nachkriegs-Benjamin-Ausgaben (hrsg. von Gretel und Th. W. Adorno) in der Reihe „Bücher der Neunzehn“ der Druckfehler nicht fremd ist.
Hier eine Leseprobe, die ich anläßlich der documenta 13 schon einmal auf meinem Blog veröffentlicht habe:
https://klausbaum.wordpress.com/2012/12/03/adorno-
Sledgehammer bemerkte neulich, es gäbe eine schleichende Dequalifizierung auf diesen Blog. Ich bemerke soeben, dass keiner zu dem verlinkten Adorno-Zitat je etwas angemerkt hat. ……..
jeder halbwegs gesunde mann hätte einfach zugegeben, dass ihm der anblick nackter brüste gefallen hat – oder seine meinung dazu gesagt, ob er denn nun angemessen findet solche albernen pseudopolitischen aktionen im rahmen des lehrbetriebs zu veranstalten oder ob nicht.
diese geschichte und seine reaktion darauf steht wohl stellvertretend für sein ähnliche gestörtes verhältnis zu musik und musiktheorie.
„anders denn als Subjekt sei keine Erfahrung möglich.“
und die geworfenheit des seienden kommt noch erschwerend hinzu. 🙂
Auf der Seite „Kritiknetz“ gibt es eine umfassende Zusammenstellung von Reaktionen auf den Tod von Adorno: Norbert Rath „Zerrbilder zu Adorno“
„Die Kritische Theorie ist Tod“, so heisst es, bei machen bedauernd, bei anderen schadenfroh oder sogar triumphierend, schon bald nach dem Tod Adornos“
@einseinsnull
„jeder halbwegs gesunde mann hätte einfach zugegeben, dass ihm der anblick nackter brüste gefallen hat-“
Also ist Mann kein gesunder Mann, wenn ihm der Anblick nackter Brüste (von Geschlechtsteilen) zu Demozwecken nicht gefällt. Mir missfällt dieses Einordnen, was eine gesunde Reaktion gewesen wäre und dies dann wie eine pathologische Störung auch auf andere Bereiche auszuweiten.
Erkenntnistheorie ist auch ein bisschen schwierig. Vielleicht sollte ich mal einen berühmten Satz aus der Dialektik der Aufklärung in die Runde werfen: „Die gänzlich aufgeklärte Erde erstrahlt im Zeichen triumphalen Unheils.“
Das „Busenattentat“ auf Theodor W. Adorno wäre ihm kaum mehr als eine stillose Entgleisung gewesen, wenn ihm nicht jählings wie letztgültig deutlich geworden wäre, dass er den zukunftsgewandten Studenten nur mehr als ein zu entsorgendes Fossil galt..
@einseinsnull …..? Nö, passt nicht.
Ich tät Mal sagen, hier hat sich eher etwas „Nullachtfuffzehn“es geäußert – mental grobmotorisch wie die damaligen Kurzschließer-Brachiallogiker.
Ich mag es , dass der Lordofmyheart ganz subjektiv geschrieben hat, weder eine weitere Hudelei noch eine weitere Leichenschändung betrieben hat.
Ich selber habe diesen „Teddy“ nie gelesen, damals vorwiegend, weil alle meinten, man müsse unbedingt.Auch, weil ich noch zu jung war, außerdem faszinierten mich die Surréalisten und Majakowskk damals sehr, Adorno ließ ich mir in Laufe der Zeit über Sekundäre nahebringen .
Aber eins steht fest: Auf einen Menschen lasse ich nichts Ungutes sagen, der Herz und Verstand genug hatte, dass das Folgende von ihm stammt:“Geliebt wirst du einzig da wo du schwach dich zeigen kannst, ohne Stärke zu provozieren.“
Tja.Tausend „Likes“ mindestens.
„Das ist die ganze Wissenschaft,
Das.ist der Bücher tiefster Sinn,“(Heinrich Heine)
Hier der Hinweis auf einen Vortrag von Joachim Bruhn (1955 -2019)
Der Kommunismus des Theodor W. Adornos „Einheit des vielen ohne Zwang“
Zu Anfang beschreibt Joachim Bruhn wie die Kritische Theorie zerlegt und die Person Adorno öffentlich wirksam demontiert wurde. Joachim Bruhn versucht in seinem Vortrag eine Rücknahme der beschriebenen Projektionen auf die Kritische Theorie sowie auf Adorno und seine Mitstreiter ,wie z.B. Max Horkheimer .
Der Vortrag bietet darüber hinaus das, was ich an Joachim Bruhn immer bewundert habe, seine ganz eigene Sicht auf den Marxismus, die Linke, dem untergegangenen Staatssozialismus und dies vor dem Hintergrund der Kritischen Theorie.
Für alle die Zeit und Lust haben darein zu hören:
„Mir missfällt dieses Einordnen, was eine gesunde Reaktion gewesen wäre und dies dann wie eine pathologische Störung auch auf andere Bereiche auszuweiten.“
mir ist klar, dass ich damit sehr weit gehe, aber ich kann es ja noch mal ohne satire und polemik versuchen, vielliecht wird es dann klarer, wo mein problem damit ist:
ich unterstelle dem zitatgeber in dieser situation nicht die wahrheit über seine gedanken und gefühle kommuniziert zu haben, weil ich es für komplett abwegig halte, dass jemand, der überraschend mit nackter haut konfrontiert wird, als allererste assoziation gehabt haben will, dass die personen möglichweise frieren könnten. zumal in geschlossenen räumen.
gefühle wie scham, erregung, belustigung, abscheu, oder eine kritik an der aktionsform wären jedenfalls sehr viel naheliegender.
falls ich damit richtig liege es ist dann auch naheliegend, dass die gleiche person uns auch in anderen situationen uns nicht offen und spontan gegenübertritt.
wer über brüste lügt, der lügt auch über musiktheorie oder seine eigenes verhalten im dritten reich.
unterstelle ich damit, dass das verhalten pathologisch ist? vielleicht.
bin ich gegenüber der kritischen theorie voreingenommen und spreche ihr jede bedeutung für den politisch motiverten angewandten marxismus ab? ja, klar.
@first lady:
ein adorno, der werken der tonkunst pauschal nachgesagt hat, dass sie menschen dazu bringe, sich wie geisteskranke zu verhalten, wird es wohl abkönnen müssen, wenn sich auch mal ein wort gegen ihn richtet.
und nein, schönheit an sich ist erst mal wenig wer. einen wert hat sie erst dann wenn sie für alle, also auch außerhalb des elfenbeinturms, zugänglich gemacht wird.
„offen und spontan“ ….
„Keine Forschung reicht bis heute in die Hölle hinab, in der die Deformationen geprägt werden, die später als Fröhlichkeit, Aufgeschlossenheit, Umgänglichkeit, als gelungene Einpassung ins Unvermeidliche und als unvergrübelt praktischer Sinn zutage kommen.“ (Adorno: Minima Moralia, „Die Gesundheit zum Tode“)
Und der Weg von der Unterstellung zum vermeintlich Naheliegenden ist denn doch arg kurz …
@ Klaus Baum,
nun bitte ich Dich zu berücksichtigen, dass die Kritische Theorie, eben keine leichte Kost ist, die man sich mal so nebenbei aneignet. Selbst das von mir verlinkte Video von Joachim Bruhn ist nicht so leicht zugänglich, ohne Vorkenntnisse. Es braucht schon eine gewisse Hartnäckigkeit, um dran zu bleiben. Selbst für mich als gut Geübten.
Soweit ich mich erinnere hat Sledgehammer nicht von „Dequalifizierung“ gesprochen, sondern “ von der schleichenden Entfernung von den Ursprüngen“ Deines Blogs. Da mache ich mal ein ? zu den Ursprüngen.
Ich gehe mal davon aus, dass die „Kritische Theorie“ in unserer Gesellschaft ebenso entsorgt ist, wie die „Kritik der politischen Ökonomie“ von Karl Marx und allenfalls noch an runden Geburtstagen hervorgeholt wird und für theoretische Ein-und Auslassungen an Universitäten taugt.
Was dem Zeitgeist wohl ziemlich grosse Schwierigkeiten bereitet ist wohl der Umstand, dass sich trotz dieser Entsorgung nach dem neoliberalen Abfallgesetzen so wenig Zuversicht in die Zukunftsperspektiven der bürgerlichen Gesellschaft einstellen mag.
Die einfache Erkenntnis, dass die Herrschaft des Menschen über den Menschen „allenfalls historisch zu erklären ist“ aber zu seiner menschlichen Existenz im totalen Widerspruch steht und die formale Gleichheit des Menschen als bürgerliches Subjekt sich überhaupt nicht verträgt mit dem Anspruch der Kritischen Theorie, dass Gleichheit nur in der Akzeptanz der Differenzen moglich ist, als Anerkennung des Individuum: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen (Marx)“ „Oder Einheit des vielen ohne Zwang. Adorno“
Was ist Kritische Theorie?
Ein Vortrag von Alex Demirović
Meiner Meinung nach ein sehr gut vorgetragener, nachvollziehbarer Vortrag mit guter Tonqualität.
Eine kleines Zitat aus dem Vortrag, was eine Herausforderung für die Kritische Theorie benennt:
„Es kann nicht sein, dass die Linke das bürgerliche Projekt einfach nur fortsetzt, nämlich Naturbeherrschung,…, Gesetzeserkenntnis, die dazu dient, die Natur besser auszubeuten, naturblind zu sein und die Totalität der bürgerlichen Gesellschaft. Das ist das was sozusagen das zentrale Argument der Dialektik der Aufklärung bis zur negativen Dialektik ist, die Gesellschaft verschliesst sich zu einer Totalität, die Dinge hängen immer mehr miteinander zusammen.“
Hier sind meiner Meinung nach die unüberbrückbaren Differenzen zwischen einer nicht staatsfixierten und dem Parteikommunismus kritischen Linken mit den Vorstellungen der Sozzen und den Staatssozialisten verlaufen. Auch das nur ein Rückblick in eine längst beerdigte Vergangenheit, aber dennoch spannende Einblicke.
Und genau das falsche Video eingestellt
Dieses war gemeint:
Das hier geht mir nahe, weil: das ist nicht genug. Zur Erklärung: Die „Minima Moralia“ stehen hier links überm Bildschirm im Regal, griffbereit und abgenutzt, seit dem seinerzeitigen Erwerb für Klaus Baums Seminar dazu. Sollte das Bücherregal Feuer fangen, wäre dies das Buch, dass ich aus dem Fenster werfen würde um es dann unten wieder aufzuheben. Wie ein ehemaliger Arbeitskollege es sinngemäß formuliert hat: Außer Frank Zappa hat niemand, wirklich niemand, so genau erfasst, was wirklich abgeht. Ich bin Jahrgang 66, somit zu spät gewesen für Zappa, aber die Wirkung von Adorno liegt für mich in der unübertroffenen schärfstmöglichen Formulierung dessen, was falsch ist und warum es falsch ist, im unbarmherzigen Auseinandernehmen der Oberfläche auf dem Weg zum Wesen des Übels , der Meinungen, des Verhaltens – ohne dabei schwurbelig zu werden, und immer wieder zurück zur Oberfläche, zu dem, was einem begegnet, was man erfährt, was man wahrnimmt. Dabei verhindert die Präzision der Sprache, dass man darauf hängenbleibt – wiewohl in dunklen Zeiten einem Adorno auch schon mal bestätigen kann, dass man nicht verkalkt oder irre ist – das ist nichts zum Nachbeten, nichts zum Einordnen in Theorieströmungen, das ist zu kritisieren und weiterzudenken – aber dafür muss man es erstmal gelesen haben, sorry. Und nochmal zu den Brüsten: „Ein großer »Puffbesucher« sei er zudem gewesen, wird berichtet.“ Aus: literatur, Beilage der jW vom 08.10.2003,“Vorsicht, TWA! »Eise, Knoche, Lumbe, Flasche, Babier«: Zwei neue Biographien über den Frankfurter Schüler und Professor Adorno von Christof Meueler (https://www.jungewelt.de/beilage/art/262233) Darin steht auch das: „Die schönste Formulierung stammt immer noch von Greil Marcus, der in »Lipstick Traces« Adornos Hauptwerk »Minima Moralia« der Punkbewegung zuschlägt: »Big Ted Says No«. Nach Marcus sollte man Sex Pistols hören und dabei »Minima Moralia« lesen, um herauszufinden, »wo das eine aufhört und das andere anfängt«. Das ist zwar nicht ganz richtig zitiert, Greil Marcus verweist auf PiL, Johnny Rottens Band nach den Sex Pistols, und das kann eine eher nur anstrengende Hörerfahrung sein, dennoch mag das verdeutlichen, was man da möglicherweise in seinen Einordnungsbemühungen an Ansatzmöglichkeiten liegenlässt.
Danke 😉 Auch für die Erinnerung an Greil Marcus. »Big Ted Says No« So ist es, das entschiedenste und tiefgründigste „No“, das ich kenne. Astreiner Punk.
lieber kurt,
es freut mich zu lesen, dass du einst in einem seminar bei mir warst. auf dem wasser liegen und sich treiben lassen. sein, sonst nichts, ohne alle weitere bestimmung.
Viele Menschen suchen nach einer Beschreibung oder Analyse unserer Wirklichkeit.Und da liegt Adorno doch nahe! Im Vergleich zu all dem Scheiß, den unsere Qualitätsmedien und der offzielle Kulturbetrieb so absondern (wie gut geht es uns doch in dem Land in dem wir alle so gut und gerne leben…), stellt er eine wahre Offenbarung dar. Ich denke, man sollte versuchen, die Texte der kritischen Theorie noch einmal neu und ganz unbefangen zu lesen. Vor allem natürlich die „Dialektik der Aufklärung“, den Grundtext einer scheiternden kapitalistischen Moderne: „Die Aufklärung wollte den Menschen die Furcht nehmen und sie als Herren einsetzen… Doch die gänzlich aufgeklärte Erde erstrahlt im Zeichen triumphalen Unheils.“ Es ist die treffendste Beschreibung der gegenwärtigen Katastrophe.
Nur, dass Adorno des ökologischen Aspekt nicht weiter verfolgt hat und/oder davon seinerzeit halt auch noch nichts geahnt hat.
@ Ulli,
“Wenn es dem Marxismus nicht gelingt, der zeitlosen Wahrheitstheorie der herrschenden naturwissenschaftlichen Erkenntnislehren den Boden zu entziehen, dann ist die Abdankung des Marxismus als Denkstandpunkt eine bloße Frage der Zeit.” Alfred Sohn-Rethel (1970)
Ich habe dieses Zitat nur eingespielt, um meine persönliche Einschätzung bestätigt zu sehen, dass der Marxismus und der Versuch seiner Neuinterpretation durch die Kritische Theorie gescheitert sind. Und dies nicht aus theoretischer Sicht begründet, sondern mit einem einfachen Blick auf Gesellschaft, welche Bedeutung diese im Bewusstsein der heutigen Gesellschaften überhaupt haben.
Und da erkenne ich nirgendwo Ansätze. In der Bevölkerung ohnehin nicht, in den Sozialwissenschaften allenfalls noch als einmalige Seminarveranstaltungen geduldet und der Wirtschaft und Politik geht das ohnehin an allem vorbei.
Dadurch werden die Aussagen der Kritischen Theorie keineswegs obsolet , die Aussagen, dass es eine zunehmende Tendenz zur Totalität gibt ,alles und jeden zu Vereinheitlichen , ihn einzuhegen in das grosse Ganze. Und weil sich trotz aller Bemühungen die Gesellschaft sich nicht problemlos einhegen lässt, sondern fragmentiert bleibt, deshalb wird Integration so wichtig.
Was diese Totalität bedeuten kann, der Wunsch nach einer störungsfreien Gesellschaft, lässt sich auch gut an den Sozialdemokraten in Schweden nachvollziehen, wo Frauen bis in die Siebziger zur Zwangssterilisation gezwungen wurden, wenn behinderte Kinder zu erwarten waren, sie zum Alkoholismus neigten oder einfach arm und nicht als integrierbar angesehen..
Hier eine Quelle:
„Mehr als 60.000 Menschen fielen in Schweden einem Sterilisierungsprogramm zum Opfer – die weitaus überwiegende Zahl davon waren Frauen, fast ausschließlich aus sozial schwachen Schichten. „Minderwertig, geistig unterentwickelt, unerwünschte Rassenmerkmale …“, so lauteten einige der Zuschreibungen für potentielle Opfer. Die Konsequenz daraus war die staatlich gedeckte Zwangssterilisation. Zuschreibungen und Praktiken sind aus der NS-Zeit wohlbekannt, in Schweden hatten diese aber bis in die 70-er Jahre ihre Gültigkeit. “
https://www.nadir.org/nadir/periodika/tatblatt/82steril.htm
@Troptard:
Dazu ist es vielleicht noch ganz hilfreich, die weltweite Verbreitung der ‚Eugenik-Bewegung‘ zu betrachten (welche aber offenbar in der Sowjetunion nicht Fuß fassen konnte). Und auch ist dabei bemerkenswert:
Nach Schätzungen des Bundesjustizministeriums wurden in der Bundesrepublik bis 1992 jährlich etwa 1.000 geistig behinderte Frauen – meist vor Erreichen des Erwachsenenalters – ohne bzw. gegen den eigenen Willen sterilisiert. Bis November 2003 blieben Sterilisationen von behinderten Frauen bei festgestellter Einwilligungsunfähigkeit auch ohne deren Einwilligung und ohne medizinische Gründe möglich.
Um noch mal auf die „Busenaktion“ zurueck zu kommen.
Weil ja das anscheinend so wichtig ist, zumindest fehlt es in keiner Jubilaeumrezession,
dass damals ein paar Studentinnen „blank“ gezogen haben, war auch schon seinerzeit noch nicht einmal ein Fussnoetchen und daher voellig irrelevant.
Aber wie heisst es doch, sex sells…
@fred, ich hätte es nicht erwähnt, hätte prof. fritz seitz 1969 nicht darüber gesprochen
Wer es mehr mit den Ohren hat, dem bietet die österreichische Mediathek Archivaufnahmen und Vorträge von Theodor W. Adorno
@reinplatzer, danke für die links …
Ergänzend dazu ubu web – Adorno (falls nicht eh bekannt) … thnx @Reinplatzer.
@stony, danke
Wie so oft von mir zur Theorie etwas für die Praxis: RLF (Richtiges Laben im Falschen)- ein Roman mit dem Label des Adorno-Zitats aus Minima Moralia.
Der Begriff stammt aus dem Roman RLF: Das richtige Leben im falschen. Roman (suhrkamp taschenbuch) von Friedrich von Borries. Hartmann erklärt: „RLF ist die Abkürzung für das berühmte Zitat »Es gibt kein richtiges Leben im falschen« aus Theodor Adornos Minima Moralia. Von Borries erzählt in seinem Roman von einem Zirkel aus Werbern, Trendscouts, Künstlern und Aktivisten, die den Kapitalismus mit seinen eigenen Waffen schlagen wollen – nämlich mit Glamour und den Mitteln der Werbung. Mit Kunstwerken, die anspruchsvollen Konsumenten gefallen sollen, wollen sie Geld einsammeln, um damit eine Insel des richtigen Lebens im falschen aufzubauen. Die »RLF-Produkte«, so die Konsumrevoluzzer im Roman, machten den Käufer zum »Shareholder der Revolution«. Aber es gibt kein richtiges Einkaufen im falschen Weltwirtschaftssystem“. Denn der Kapitalismus lasse sich nicht mit seinen eigenen Waffen schlagen. Er inkorporiere alles, selbst Protest und Kritik. Er mache sie zur Ware, konsumierbar und stärke sich damit selbst.
Die sogenannte Konsumentendemokratie, in der nicht mehr der Bürger mit Widerstand und Protest Änderungen in der Politik bewirkt, sondern der Konsument seinen Geldschein als Wahlzettel begreift, mit dem er an der Ladenkasse abstimmt, entspreche wiederum paßgenau der neoliberalen Ideologie der Ausweglosigkeit und Eigenverantwortung. In einer Gesellschaft, in der jeder seines Glückes Schmied zu sein hat, werde der einzelne durch Anpassung und Selbstoptimierung ebenfalls zum Produkt, das auf dem Markt mit anderen Individuen konkurriert. Der Neoliberalismus verspreche uns Freiheit, meine aber nur die individuelle Wahlfreiheit beim Shopping – auch und gerade zum Zwecke der Weltrettung. Das grüne TINA-Prinzip (There Is No Alternative) des »ethischen Konsums« (die andere Seite derselben Medaille mit „Verzichtsethik“) führe jedoch weder zu sozialen Bewegungen noch zu Protest: Denn erstens werde aus einzelnen Einkaufsentscheidungen zwischen verschiedenen vermeintlich grünen Massenprodukten kein kollektives Ganzes, sondern höchstens ein privates gutes Gewissen. Zweitens töte es jede Solidarität, wenn der einzelne in einen moralischen Wettbewerb gegen den nächsten geschickt wird, in dem der »gute« auf den »bösen« Verbraucher zur eigenen moralischen Erhebung mit dem Finger zeigt. Entsprechende T-Shirts, in denen sich einer als Meeresaktivist inszeniert sind Distinktionsgewinn, Selbstveredelung und eine Art Ablaßhandel zum Recht aufs Dreckmachen.
(Aus einer Rezension zum Buch „Die grüne Lüge“ von Kathrin Hartmann.)
@altautonomer,
nichts zu Deinem Kommentar sondern nur die Frage, ob Du inzwischen ohne Schmerzen leben kannst, Deine Leidenszeit beendet ist.
LG
Nein. Seit 3 Wo. Harnleiterschiene mit Schmerzen beim Urinieren, Unterdruck in der Niere (sogen. Reflux) und Blut im Urin. Mittwoch Op durch die Harnröhre in die Niere (Vollnarkose mit Propofol. Soweit alles normal. 80 % der Harnleiterschienenträger erleben ähnliche Symptome.
Am 3. Tag danach ohne jegliche Innereien nach Hause.
Danke Deiner Nachfrage.
Nur mal so:
„Nicht, daß Onkel Mitja etwas Besonderes gesagt hätte. Je beschwipster er war, desto bestimmter und nüchterner wurde sein Blick auf die Welt, und das stand ihm. „Scheiße“, das war sein Fazit, doch es wurde einem ja beinahe licht von solchen Onkel-Mitja-Fazits, denn Zweifel tauchten jedesmal keine auf: er war präzise und hatte recht.“
Andrej Bitow, Das Puschkinhaus
@ oblomov:
Geht in Ordnung… Sowieso… Genau…
@altautonomer, das hört sich gar nicht gut an. gutes gelingen bei der op und gute besserung.
Klaus: Danke. Der Vorteil und die Besonderheit in der von mir ausgewählten Klinik: Blasenkatheder und Harnleiterschiene werden mit einem Faden verbunden und mit einem Rutsch (ohne Betäubung) am Freitag herausgezogen. Harnleiterschiene tragen ist die Hölle. Normalerweise müßte ich 7 Tage lang damit herumlaufen und sie dann ambulant bei einer Blasenspiegelung entfernen lassen.
OT: Über den Link zu einem Trailer über den Film „Werk ohne Autor“ bin ich bei den neulandsozen auf den Künstler Gerhard Richter gestoßen, auf dessen Biografie die Dramaturgie des Filmes basiert. Richter hat sich allerdings davon distanziert, weil das Filmgeschehen (3 1/2 Std.) zu reisserisch sei.
Meine Freundin darauf angesprochen, rief laut: „Was Du kennst den nicht?“ und legte mir aus ihrem Bücherschrank sogleich ein riesigen Bildband mit Biografie vor die Nase. Als ich dort las, dass Richter mehrfach auf der Dokumenta bis in die 90er Jahre ausgestellt hat, dachte ich sofort an Klaus.
Und siehe da. Es gibt 4 Texte zu Gerhard Richter hier im Blog, die den Namen bereits im Titel tragen und auf die es keinen einzigen Kommentar gab.
Werde mir mit meiner Freundin demnächst den Film auf DVD ansehen. Es lohnt sich auch für Kulturbanausen wie mich.
Ich fand den Film sehenswert. Allerdings vielleicht etwas wuchtig, Von Donnersmarck konzipiert die deutsche Geschichte sozusagen nach der Devise: es braust ein Ruf wie Donnerhall… Allerdings gibt es in Richters Leben Aspekte, die schlicht irrsinnig sind: so fiel eine Tante der Euthanasie der Nazis zum Opfer und er heiratete später die Tochter des verantwortlichen Chefarztes. Interessant zu sehen, wie seine Technik, abgemalte schwarz-weiß-Fotos, entstand.
@altautonomer, das hört sich ja grauslich an, zumal ich weiß, wie sich eine blasenspiegelung anfühlt.
dass du jemand hast, der dich zur wahrnehmung von kultur anstößt, ist sehr zu begrüßen.
Hallo altautonomer,
ich werde an Dich denken, weil genau an diesem Tag, an diesem Mittwoch zieht Troptard nach über 20 Jahren Dorfidylle wieder in eine richtige Stadt, nach Montpellier. Dem Alten war zwar nicht unbedingt langweilig hier am „Pont du Gard“, aber meinen beiden dynamischen Frauen umsomehr.
In Montpellier, die Kommune, die hat auch mit mir noch ein Einsehen bzw. mit ihren Rentnern. Für 5 Euro bekomme ich dort die “ Goldene Alterskarte“ und damit darf ich dann ein ganzes Jahr die öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos nutzen. Ich weiss ja nicht, ob das ’ne gute Idee ist, sich offiziell alt zu machen. Eigentlich ist es mir lieber, das für mich zu behalten. Ein Stubenhocker bin ich sowieso.
Ich drücke Dir beide Daumen!
Montpellier ist eine schöne Stadt. Wohnt ihr in der Altstadt?
In Montpellier hab ich studiert.
Ich war erst letztes Jahr dort und war verblüfft, denn so viel Obdachlose auf einen Haufen hatte ich schon lange nicht mehr gesehen.
Ich war dort mir der Bahn unterwegs für 1,20 €, weil ich mit meinem Altwagen vor Bj. 97 wegen Feinstaubalarm gerade nicht nach Montpellier einfahren durfte.
Die schlängelt ich so in abenteuerlichen Kurven durch die ganze Stadt.wohin man wollte auch weiter ins Umland, aber an jeder Ecke saßen die, selbst in den guten Vierteln.
Troptard – alles klar gegangen mit dem Umzug?
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